Verantwortungsdiffusion-Der Reizhusten für jedes Team Teil 1

Dr. Bergmann: „Frau Meier, haben Sie die Versicherungsanfragen schon beantwortet?“

Frau Meier: „Nein, ich dachte das macht Frau Schulze…“

Dr. Bergmann: „Wo ist denn Frau Schulze?“

Frau Meier: „Die ist vor fünf Minuten heim gegangen und ist jetzt eine Woche im Urlaub.“

Dr. Bergmann: „Kümmern Sie sich bitte darum.“

Frau Meier: „Aber ich wollte eigentlich das Labor machen, dort ist noch Blut der letzten zwei Tage zu bearbeiten.

Ich kam bisher nicht dazu, weil ich immer wieder in die Assistenz gesprungen bin, weil unser Azubi Blut abnehmen lernen wollte.“

Dr. Bergmann: „Dann soll Frau Kramer sich eben darum kümmern!“

Frau Meier: „Die dokumentiert aber gerade die Chargennummern der Filler, da sind wir ganz auch ganz schön hinterher…“

 

Wenn Ihnen dieser Gesprächsausschnitt aus Ihrer Praxis bekannt vorkommt, dann leidet Ihr Team mit hoher Wahrscheinlichkeit an Verantwortungsdiffusion: Jeder wollte eigentlich, jeder hätte gekonnt, aber getan hat es dann irgendwie doch keiner. Dieses kollektive Verhaltensmuster lässt sich jedoch gezielt aufbrechen und systematisch in ein nachhaltiges Verantwortungsbewusstsein umwandeln.

 

Was ist Verantwortungsdiffusion?

 

Je mehr Leute mit einer Situation befasst oder konfrontiert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass keiner etwas unternimmt oder eingreift. Jeder verlässt sich auf den oder die Anderen und gibt die Verantwortung ab. Nachdem das aber alle Beteiligten tun, entsteht Verantwortungsdiffusion, was dazu führt, dass letztlich niemand etwas unternimmt. Man nennt dieses Phänomen auch den Bystander-Effekt. Dieser hat in der Vergangenheit immer wieder für Skandale gesorgt, wenn beispielsweise bei einer Gewalttat in der Öffentlichkeit kein Einziger der zahlreichen anwesenden Zeugen einschritt oder die Polizei rief. Nur in Situationen, in denen das Opfer den Hilferuf auf eine bestimmte Person bezog („Sie da im roten Pullover!“), konnte die Verantwortungsdiffusion aufgebrochen werden und die Umstehenden begannen zu handeln.

 

Zum Glück begegnen uns im Praxisalltag in der Regel keine Gewaltverbrechen – doch das Verhaltensmuster der „Bystander“ entspricht dem eines Teams, das unter Verantwortungsdiffusion leidet: Jeder sollte alles machen, doch keiner tut es, in der fälschlichen Annahme, dass die Kollegen das auch ruhig mal machen können. Diese sitzen allerdings dem gleichen Irrtum auf, was zur Folge hat, dass bestimmte Aufgaben einfach gar nicht erledigt werden.

 

Das Einzige, das durch dieses Verhalten kontinuierlich trainiert wird, ist der „Ausreden- und Entschuldigungsmuskel“ aller Beteiligten – und der hat wahrlich noch kein Team auf die Erfolgsspur gebracht.

 

 

Welche Symptome hat Verantwortungsdiffusion?

 

Verantwortungsdiffusion kann im Praxisalltag zu den unterschiedlichsten Verhaltensmustern führen; einige sind unspezifisch, andere ganz typisch. Im Folgenden sind die gängigsten Anzeichen aufgeführt:

 

– Die kausale Verantwortung dominiert – das heißt, es wird permanent nach einem Verursacher eines Problems oder nach einem Schuldigen gesucht

– Zahlreiche Aufgaben sind „herrenlos“ und werden fast schon nach Zufallsprinzip erledigt

– Die Kultur des Teams ist von Verantwortungslosigkeit geprägt (es herrscht ein Gefühl von „ist mir egal“, „nicht meine Sache“)

– Aufgaben bleiben häufig unerledigt oder werden nur ungenau durchgeführt

– Die Fehlerquote bleibt konstant hoch oder steigt kontinuierlich an

– Eine organisierte Struktur ist nicht vorhanden

– Es herrscht eine „Ausredenkultur“, es wird nach Entschuldigungen statt nach Lösungen gesucht

– Missverständnisse die Aufgabenverteilung und -durchführung betreffend sind an der Tagesordnung („ich dachte, du machst das“)

– Team ist führungslos und sich selbst überlassen

– Spannung und gereizte Stimmung im Team

– Wechselseitiges Belehren und Kontrollieren ist an der Tagesordnung

– Jeder hat das Gefühl, die Anderen im Team seien verantwortungslos und man selbst müsse ständig die Versäumnisse der Anderen ausbaden. Doch der Versuch, die vermeintliche Verantwortungslosigkeit der anderen zu kompensieren, führt schließlich zu Resignation

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